Der in den Niederlanden vor einem Rotterdamer Gericht geführte Prozess des niederländischen Sammlers Bert Kreuk gegen den dänisch-vietnamesischen Künstler Danh Vo und das entsprechende Urteil vom 24. Juni 2015 hat die Kunstwelt in Aufruhr gebracht und heftige Diskussionen zwischen Künstlern und Sammlern ausgelöst.
Der Kunstsammler Kreuk hatte den global erfolgreichen Künstler Danh Vo wegen Vertragsverletzung verklagt, da er für die Ausstellung Kreuks “Transforming the Known” im Gemeentemuseum in Den Haag nicht das angeblich vereinbarte Kunstwerk anfertigte, sondern nur eine kleine, bereits existierende Arbeit lieferte. Der niederländische Sammler forderte 898.000 Euro Schadensersatz von Danh Vo. Das Gericht gab Kreuk zwar Recht, verurteilte Danh Vo jedoch nicht zur Zahlung des geforderten Schadensersatzes, sondern dazu, den Vertrag zu erfüllen und innerhalb eines Jahres ein neues “beeindruckendes und großes Werk“ anzufertigen.
Vo und seine Galeristin bestritten im Prozess, dass jemals eine entsprechende (schriftliche) Vereinbarung mit Kreuk getroffen wurde. Das Gericht entschied jedoch, dass ausreichende Beweise für die Annahme des Vorliegens einer zumindest mündlich getroffen Übereinkunft vorliegen, wonach Vo ein Kunstwerk für Kreuk anfertigen sollte. Kurz vor Beginn der Ausstellung teilte nämlich die Galeristin von Vo, die als Zwischenperson fungierte, mit, das Vo’s Vater eine Gehirnblutung gehabt habe und nicht sicher sei, ob der Künstler mit der Ausstellung in Den Haag weitermachen könne. Kreuk ließ mitteilen dass er nachvollziehen könne, dass der Künstler in dieser Verfassung kein sehr besonderes Kunstwerk kreieren könne, er wolle jedoch nicht mit leeren Händen dastehen. Letztlich wurde eine kleine Arbeit des Künstlers an Kreuk gesendet, worüber ein Leihvertrag abgeschlossen werden sollte. Kreuk forderte jedoch ein neues Werk.
Die hauptsächliche juristische Frage des Falles womit sich das Gericht befasste war, ob je eine Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen wurde und was eine solche beinhaltete. Nachdem der Richter es als bewiesen ansah, dass eine Übereinkunft besteht und diese nicht (ausreichend) erfüllt wurde, sah dieser vorliegend eine Nichterfüllung des Vertrages als gegeben an. Dementsprechend wendete der Richter Artikel 7:407 Absatz 2 des Burgerlijk Wetboek (niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch) auf den Fall an, der eine persönliche Haftung festlegt, wenn ein Auftrag an zwei oder mehrere Personen gegeben wird.
Die Anwendung dieser Regelung führte dazu, dass sowohl Vo als auch seine Galeristin zusammen dazu verurteilt wurden, dem Auftrag nachzukommen und Vo somit binnen eines Jahres seiner Galeristin ein oder mehrere eigens für einen Raum des Gemeentemuseums erschaffene beeindruckende und große Werke liefern muss. Bei Weigerung oder Verzögerung haben VO und die Galeristin eine Geldstrafe von 10.000 Euro pro Tag Verzögerung zu zahlen, bis zu einem Maximum von 350.000 Euro.
In der nach dem Urteil ausbrechenden öffentlichen Diskussion äußerten Danh Vo und sein Anwalt, dass der Künstler durch diese Verpflichtung zur Erfüllung in seiner künstlerischen Freiheit einschränkt werde. Er könne nicht auf richterliche Verfügung ein Kunstwerk erschaffen.
Nach Ergehen dieses Urteils, das die Kunstwelt bewegt, stellt sich auch die juristische Frage, ob ein solches in Deutschland denkbar wäre.
Zumeist ist ein Gläubiger, der die ihm versprochene Leistung nicht empfangen und dadurch einen Vermögensschaden erlitten hat, in erster Linie daran interessiert, einen Ausgleich in Geld als Schadensersatz vom Schuldner zu erhalten. Ist die Berechnung des Schadensersatzes schwierig bzw. spiegelt der so errechnete Betrag nicht das besondere Interesse wider, das der Gläubiger an der Vertragserfüllung hat, ist auch in der deutschen Rechtsordnung denkbar, auf Antrag des Klägers zur Erfüllung des Vertrages in natura zu verurteilen. Der Gläubiger kann den Anspruch auf Erfüllung mit Erwirken eines Leistungsurteils, das dem Schuldner die Erfüllung des Vertrages befiehlt, gerichtlich verfolgen. Hier macht es keinen Unterschied, ob es sich dabei um das Hervorbringen einer künstlerischen Leistung oder der Lieferung verkaufter Waren handelt. Die Klagbarkeit wird als so selbstverständlich angesehen, dass sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In § 241 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist geregelt, dass der Gläubiger kraft des Schuldverhältnisses berechtigt ist, „von dem Schuldner eine Leistung zu fordern“ – dies bedeutet dann auch, dass diese gerichtlich eingefordert werden kann.
Es kann jedoch nur dann ein Urteil auf Erfüllung in natura erwirkt werden, wenn die Erfüllung dem Schuldner noch möglich ist. Ist dies nicht der Fall – zum Beispiel aufgrund Zeitablaufs oder wenn der Künstler seiner Tätigkeit auf lange Zeit nicht mehr nachkommen kann – so ist der Gläubiger auf Schadensersatz beschränkt.
Ein auf Vertragserfüllung gerichtetes Urteil nützt dem Kläger allerdings nur, wenn es auch wirksam durchgesetzt werden kann. Die Vollstreckung eines Urteils mit Erfüllungszwang im Bereich der Kunst ist jedoch problematisch, da es an der Anwendung des Zwangsgeldes scheitert. Grundsätzlich kann bei sog. unvertretbaren Handlungen, wie sie hier vorliegt, durch die Androhung von Geld- oder Haftstrafen eingewirkt werden. Wenn Handlungen jedoch eine besondere künstlerische oder wissenschaftliche Befähigung voraussetzen wird angenommen, dass diese nicht ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängen und somit ihre Erzwingung durch Beugestrafen unzulässig ist. Ein solches Urteil wäre in Deutschland somit ein stumpfes Schwert, da Künstler oder Wissenschaftler nicht unter Zwangsgeld zur Herstellung ihres Werkes gezwungen werden können.
Im niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch findet sich unter Artikel 3:296 Absatz 1 Burgerlijk Wetboek die gesetzliche Regelung, dass im Prinzip mit jedem Recht ein – prozessualer – Anspruch einhergeht. Dort heißt es: „Wer einer anderen Person gegenüber gehalten ist etwas zu geben, zu tun oder zu lassen, wird dazu auf Ersuchen des Berechtigten vom Gericht verurteilt, es sei denn, dass aus dem Gesetz, aus der Natur der Verpflichtung oder aus einem Rechtsgeschäft etwas anderes folgt.“ In der Gesetzesbegründung verweist der Gesetzgeber auf das Beispiel eines Autors, der sich gegenüber seinem Verlag zum Schreiben eines bestimmten Werkes verpflichtet hat und dem nicht nachkommt. Der Verleger kann in diesem Fall keine Erfüllung, sondern lediglich Schadensersatz fordern. Im vorliegenden Prozess wurde jedoch keine solche Diskussion über die Art der Leistung geführt, sodass davon auszugehen ist, dass dieser Punkt nicht von den Prozessbevollmächtigten von Vo vorgebracht wurde. Da die Erschaffung eines „beeindruckenden und großen Werkes“ ein subjektives Kriterium ist worüber bei Sammler und Künstler offensichtlich Uneinigkeit herrscht, bleibt mit Spannung zu erwarten wie dieses umgesetzt werden wird.
Obwohl Danh Vo im Juli 2015 gegen das Urteil in Berufung gegangen ist, hat er nun in einem öffentlichen Brief an Kreuk einen Vorschlag für die Realisierung gemacht – nämlich eine Wandarbeit mit dem „Exorzist“-Zitat “SHOVE IT UP YOUR ASS, YOU FAGGOT”.
Franziska Pechtl