Der Fall um die Anne-Frank-Manuskripten: Geoblocking ist geeignetes Mittel zur Wahrung des Urheberrechts
Der hochaktuelle Fall in den Niederlanden zeigt, dass Urheberrechtsschutz im digitalen Zeitalter noch immer Fragen aufwirft, deren Antworten nicht immer eindeutig zu finden sind. In der vorläufigen Entscheidung der Rechtsbank Amsterdam vom 01. Februar 2022 (Az.: C/13/710961 /KG ZA 21-1010) ging es nun um die Frage, ob Geoblocking ausreichend zur Wahrung von Urheberrecht des Inhabers geeignet ist.
Hintergrund
Das Verfahren wurde durch den in der Schweiz ansässigen Anne-Frank-Fonds gegen die in den Niederlanden ansässigen Anne-Frank-Stiftung und die Königlich-Niederländische Akademie der Wissenschaften (kurz: KNAW) sowie gegen den Verein für Forschung und Zugänglichkeit historischer Texte mit Sitz in Belgien in die Wege geleitet.
Der Anne-Frank-Fonds wurde 1963 von Otto Frank, der Vater von Anne Frank, gegründet. Als er 1980 starb, wurde der Fonds anhand Otto Franks Testament dessen alleiniger Erbe. Darunter befand sich auch das Urheberrecht an den Manuskripten von Anne Frank, die u.a. als „Tagebuch der Anne Frank“ in mehrfacher Ausgabe veröffentlicht wurden. Demgegenüber wurden die physischen Werke dem damaligen Nationalen Institut für Kriegsdokumentation vermacht, das heute Teil der KNAW ist.
Schon 2015 erhob der Anne-Frank-Fonds Klage gegen die Anne-Frank-Stiftung und die KNAW auf Unterlassung der Verletzung seines Urheberrechts, nachdem die Beklagten und die Huygens ING, die im Auftrag des Anne-Frank-Hauses Forschungen an Teilen der Manuskripte betrieben hat, ankündigten, die Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Aus dem damaligen Urteil vom 23. Dezember 2015 (Az. C/13/583257 /HA ZA 15-270) geht hervor, dass in einigen Ländern das Urheberrecht des Fonds an den streitbefangenen Teilen der Manuskripte zum 01. Januar 2016 erlosch, in den Niederlanden aber noch bis zum 01. Januar 2037 besteht, sodass sich das Anne-Frank-Haus dazu verpflichtete, die Werke und Forschungsergebnisse bis zum Erlöschen des Urheberrechts des Fonds in den Niederlanden nicht ohne dessen Genehmigung zu veröffentlichen. Aufgrund des bestehenden Urheberrechts im Land wurden weitere Recherchen in Belgien durchgeführt, da in der Region kein Urheberrechtsschutz an den Manuskripten mehr besteht.
Im September 2021 wurden diese Dokumente nun durch den belgischen Verein digital veröffentlicht. Sie sind auf www.annefrankmanuscripten.org in 60 Ländern vollständig aufrufbar. Der Verein ist Inhaber des Domainnamens. Beschränkt wurde der Zugang in den Niederlanden mittels Geoblocking. Der Anne Frank Fonds ist nunmehr der Meinung, das Einsetzen von Geoblocking würde nicht ausreichend die Zugänglichmachung in den Niederlanden verhindern. Man könne die Sperre mittels einer VPN-Verbindung ohne größeren Aufwand umgehen und sich so den Inhalt in den Niederlanden aneignen. Dem hielt die Gegenseite entgegen, dass die Website explizit nicht auf den Niederlanden ausgerichtet sei und sie auf einer belgischen URL beruhe, sodass auf niederländischem Boden das Urheberrecht gewahrt sei. Man wolle mit der Veröffentlichung wissenschaftliche Erkenntnisse an die breite Masse vermitteln, um so das Andenken an Anne Frank und den Zweiten Weltkrieg zu wahren.
Kurzum: Was ist Geoblocking?
Geoblocking bezeichnet eine Technik, die der Anbieter einer Website nutzt, um bestimmte Inhalte regional zu sperren. Anbieter von Waren oder Dienstleistungen können auf verschiedenen Wegen in Erfahrung bringen, aus welchem Land ihre Kunden stammen. So kann ein Online-Händler einen ausländischen Käufer zum Beispiel an der Adresse, an der zur Zahlung verwendeten Debit- oder Kreditkarte, an der IP-Adresse oder an der Telefonnummer erkennen und dadurch seinen Internetauftritt sperren oder seine Preise und Konditionen verändern. Damit kann eine Website für ein Land, zum Beispiel Deutschland, zugänglich sein, in einem anderen Land wie z.B. den Niederlanden aber nicht.
Innerhalb der EU wurde diese Handhabung grundsätzlich verboten. Die sogenannte Geoblocking-Verordnung (EU)2018/302 hat zum Ziel, Hindernisse für das Funktionieren des digitalen Binnenmarktes zu beseitigen und den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen zu stärken. Jeder EU-Bürger soll in jedem Mitgliedstaat zu den Bedingungen der dort ansässigen Kunden einkaufen dürfen (shop-like-a-local-Prinzip). Damit präzisiert die Verordnung den in Art. 20 der Dienstleistungs-Richtlinie 2006/123/EG enthaltenen Diskriminierungsverbot.
Die Vorgaben der Verordnung greifen jedoch nicht, wenn europarechtliche Vorgaben oder mit dem Europarecht zu vereinbarende Regelungen des nationalen Rechts dem Verbot von Geoblocking entgegenstehen. So gibt die Richtlinie selbst ausdrücklich vor, dass Geoblocking im Falle des Urheberrechts, insbesondere bei der Anwendbarkeit der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG möglich ist. Damit soll gewährleistet werden, dass weder das Urheberrecht eines Inhabers verletzt noch der Nutzer der betroffenen Werke in seiner Tätigkeit unverhältnismäßig eingeschränkt wird.
Vorläufige Entscheidung
Das Gericht entschied nun vorläufig, dass das Urheberrecht durch die Veröffentlichung der Manuskripte und der Forschungsergebnisse nicht verletzt ist. Insbesondere ist die Sperrung der Website für die Niederlanden durch Geoblocking ein geeignetes Mittel zur Wahrung des Urheberrechts des Fonds an den Dokumenten.
Durch das Geoblocking wurde hinreichend sichergestellt, dass die Website in den Niederlanden nicht zugänglich ist. Ruft ein Internet-User in der Region die Website auf, erscheint die Mitteilung, dass der Zugang aufgrund urheberrechtlicher Gründe verweigert wird. Versucht er es in einem anderen Land, muss der User erst durch eine Zugangskontrolle, bevor er den Inhalt einsehen kann.
Die Tatsache, dass die Sperre mittels VPN-Verbindung umgangen werden kann, mindert nicht die Wirksamkeit der Maßnahme. Denn der Fonds hat nicht ausreichend plausibel gemacht, dass die VPN-Verbindung von einer unbestimmten Zahl an Usern tatsächlich genutzt und die Website der großen Masse der Öffentlichkeit in den Niederlanden eröffnet wird. Nach Ansicht des Gerichts haben die Beklagten alles in ihrer Macht Stehende getan, um dem in den Niederlanden noch geltenden Urheberrecht gerecht zu werden. Die Website ist nur den Ländern zugänglich, in denen das Urheberrecht des Fonds bereits zu Beginn des Jahres 2016 erloschen ist.
Auch ist das Urheberrecht niemals absolut. So ist insbesondere im digitalen Umfeld ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Interessen des Urheberrechtsinhabers einerseits und den Interessen und Grundrechten des Nutzers andererseits, insbesondere der Wissenschaftsfreiheit, herzustellen. Das Gericht bezieht sich dabei auf die Erwägungsgründe 3 und 31 der Urheberrechtsrichtlinie sowie des Urteils vom EuGH vom 02. Juni 2021 ECLI:EU:C:2021:503. Der Fonds hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein Schaden mit der Veröffentlichung entstanden ist. Insbesondere ist unbestritten, dass die Dokumente zuvor schon mehrfach veröffentlicht wurden. Auch verfolgen die Beklagten keine kommerziellen Ziele. Zu betonen ist auch, dass die Stattgabe der Klage dazu führen würde, allen Internetnutzern in allen PD-Ländern die Möglichkeit des rechtmäßigen Zugangs zu den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung verwehrt würde. Dies kann nicht als verhältnismäßig eingestuft werden. Die Beklagten nehmen daher in den Niederlanden keine urheberrechtlich relevanten Handlungen vor.
Fazit
Die Anwendung von Geoblocking hat weitaus unterschiedliche Auswirkungen auf internationaler Ebene. So kann es das Gefühl der Benachteiligung bei einigen Internetnutzer hervorrufen. Insbesondere innerhalb der Europäischen Union hat das Einsetzen der Methode Streitpotenzial, zu dessen Abmilderung die EU-Verordnung verhelfen soll.
An dem Streit um die Anne-Frank-Manuskripten erkennt man andererseits, dass die Methode eine angemessene Lösung im Hinblick auf den Schutz von Urheberrechten vor Verletzungen sein kann. Der europäische Gesetzgeber hat die Ausnahme bewusst in die Verordnung eingeordnet, insbesondere im Hinblick auf digitale Medien sowie Streaming-Dienste, da Urheberrecht sich nicht auf nationale Ebene beschränkt.
Virginia Bagirian