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Bundesverfassungsgericht führt Streit über Sampling-Freiheit in eine neue Runde

hip-hop-264396_1280Urteil vom 31. Mai 2016 (1 BvR 1585/13)

„Die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen.“ Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 31.05.2016 entschieden und damit einen inzwischen mehr als ein Jahrzehnt dauernden Rechtsstreit zwischen dem Rap-Produzenten Moses P. und zwei Gründungsmitgliedern der Band Kraftwerk an den Bundesgerichtshof (BGH) zurückverwiesen.

Hintergrund
Im Jahre 1997 hatte Moses Pelham ohne Erlaubnis eine zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Song „Metall auf Metall“ der Gruppe Kraftwerk im Wege des sogenannten Sampling in das Lied „Nur mir“ von der Rapperin Sabrina Setlur übernommen. Die Parteien hatten durch alle Instanzen darüber gestritten, ob dies rechtswidrig war. Der BGH entschied 2012 im Verfahren auf Unterlassung und Schadensersatz (Urteil vom 13.12.2012, IZR 182/11) schließlich zugunsten von Kraftwerk und der Titel musste u.a. vom Markt genommen werden. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass gemäß § 85 Abs. 1, 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) auch das Übernehmen kleinster Ausschnitte aus einer fremden Tonspur gegen das Leistungsrecht verstößt. Nur bei einer sogenannten freien Benutzung darf ein Werk ohne die Zustimmung des Urhebers genutzt werden (§ 24 UrhG). Voraussetzung hierfür sei, dass die Sequenz nicht in gleicher Art und Weise nachgespielt werden kann, was hier jedoch der Fall sei. Pelham hatte daraufhin zusammen mit anderen Künstlern und Produzenten Verfassungsbeschwerde beim BVerfG gegen diese Entscheidung eingereicht. Dieser Beschwerde haben die Karlsruher Richter nun (in Teilen) stattgegeben mit der Begründung, dass die Urteile der Vorinstanzen nicht hinreichend der durch Art. 5 Abs. 3, 1 Grundgesetz (GG) garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung Rechnung trugen.

Die Entscheidung
Das BVerfG stützte seine Entscheidung u.a. auf die Argumentation, dass der Einsatz von Samples eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop sei. Die vorinstanzlichen Zivilgerichte hätten bei der Anwendung und Auslegung des Urheberrechts eine Interessenabwägung zwischen dem Eigentumsschutz der Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden Grundrechtspositionen vorzunehmen, wobei unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu vermeiden seien. Insoweit hätten beim Sampling die Verwertungsinteressen der Tonträgerhersteller in der Abwägung mit den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Betätigung unter Umständen zurückzutreten. Dies unter der Voraussetzung, dass die Verwertungsmöglichkeit des Ursprungswerkes nicht so eingeschränkt werde, dass das neu geschaffene Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz trete. Im vorliegenden Fall stünde der Beschränkung der künstlerischen Betätigungsfreiheit ein nur geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber. Darüber hinaus könne sich das eigene Nachspielen eines Samples als sehr aufwendig gestalten und stelle keinen gleichwertigen Ersatz dar. Eine solche Beurteilung der Norm würde zu erheblichen Unsicherheiten bei den Kunstschaffenden führen.

Im Kern ging es also darum, ob das Urheberrecht oder die Kunstfreiheit höher wiegt. Das BVerfG stärkt die Kunstfreiheit und unterstreicht in seiner Entscheidung, dass die Verwendung von Samples auch ohne Erlaubnis des Tonträgerherstellers urheberrechtlich zulässig ist, wenn die Verwertungsinteressen des Urheberrechteinhabers nur geringfügig und ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile  beschränkt werden.

Der BGH muss nun neu entscheiden.

Kein Freifahrtschein
Das Urteil wird in der Musikwelt nicht nur mit Enthusiasmus begrüßt. Viele Komponisten, Produzenten und Musiker sehen die Entscheidung auch kritisch, da in der heutigen Zeit eine bestimmte Klangsequenz oder ein Beat ein Musikstück maßgeblich prägen kann. Die Länge dieser Sequenz spielt hierbei nicht immer eine entscheidende Rolle. Das Urteil sollte von Kunstschaffenden auch keinesfalls als Freifbrief zur kostenlosen Nutzung von Tonfolgen im Sinne der künstlerischen Freiheit gesehen werden. Soweit die Tonfolgen eine gewisse Schöpfungshöhe und Kreativität aufweisen unterliegen diese folglich auch dem Urheberrechtsschutz. Eine Gesetzesänderung wird dieses Urteil wohl nicht nach sich ziehen. Allerdings weist das BVerfG darauf hin, dass der Gesetzgeber im Wege einer neuen Vorschrift das Recht auf freie Benutzung mit der Zahlungspflicht einer angemessenen Vergütung verknüpfen könne, um die Verwertungsinteressen des Urhebers oder Tonträgerherstellers zu stärken.

Franziska Pechtl